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Unter Beschuss

Nachdem der Econ-Verlag zuletzt mit „Exportschlager Tod“ und „Operation Kundus“ bereits zwei Titel mit direktem Afghanistan-Bezug veröffentlicht hat, erscheint mit „Unter Beschuss: Warum Deutschland in Afghanistan scheitert“ nun ein weiteres Buch, das bereits im Vorfeld heiß diskutiert wurde. Denn anders als bei den vorgenannten Büchern handelt es sich hier weniger um einen reißerischen Erfahrungsbericht oder eine Afghanistaneinsatz-Biografie, sondern stattdessen um eine fundierte Analyse des Status Quo.

Unter BeschussZunächst schildert der Autor die Situation in Afghanistan. Grundlegende Informationen werden dem Leser schnell und überschaubar vermittelt. Welche Länder beteiligen sich an der International Security Assistance Force (ISAF)-Mission, wer führt diese Mission und wo genau sind deutsche Soldaten stationiert? Anhand der beigefügten Karten kann der Leser gut nachvollziehen, welche Fläche das Regional Command North (RC N), also der vermeintlich ruhige Norden Afghanistans, umfasst. Nachdem Lindemann die letzten Jahre des Einsatzes kurz zusammengefasst hat, geht er im folgenden Abschnitt gezielt auf die Situation in der Gegenwart ein. Welchen Gefahren sind die Soldaten vor Ort, insbesondere im sogenannten „Hot Spot“ Kunduz, ausgesetzt? Hierbei werden sowohl die feindlichen Kräfte analysiert, als auch die verwendeten Waffen einer genauen Betrachtung unterzogen. Das dritte Kapitel „Es ist Krieg“ beschreibt die Akteure auf deutscher Seite. Welche Institution ist im Rahmen des ISAF-Mandats wofür verantwortlich? Welche Rolle spielen sogenannte Nichtregierungsorganisationen (NGO´s) im RC North? Im direkten Anschluss geht der Autor der Frage nach, welche Ziele im Bezug auf den Wiederaufbau in Afghanistan realistisch umgesetzt werden können und was bisher erreicht wurde. Hierbei ist besonders die Beschreibung der lokalen Polizeikräfte lesenswert. Ernüchternd stellt Lindemann hierbei fest, dass selbige eine „Landplage“ darstellen. Die letzten beiden Abschnitte betrachten wieder das große Ganze: Wo steht die Bundesrepublik Deutschland in der NATO, welche Auswirkungen hat die ständig eingenommene Sonderrolle Deutschlands und vieles mehr. Abschließend bringt der Autor noch das Thema „Raus aus Afghanistan“ zur Sprache und zeigt auf, warum ein zeitnaher Abzug wohl reines Wunschdenken bleiben wird.

In seinem 288 Seiten umfassenden Buch erläutert der Autor, der als Offizier selbst zweimal in Kunduz im Einsatz war, treffend und leicht verständlich die Knackpunkte des deutschen Afghanistan-Abenteuers. Schon nach wenigen Seiten merkt man, dass hier jemand ein Buch verfasst hat, dem es darauf ankommt, Zusammenhänge darzustellen, und diese plakativ und glaubhaft zu vermitteln, hierbei jedoch auf den erhobenen Zeigefinger verzichtet. Das beginnt bei der Zusammenfassung der letzten acht Jahre. Wo sind die vorzeigbaren Erfolge? Warum geht es im Norden Afghanistans auf einmal „heiß“ her? Wer sind diese Aufständischen, wer beschießt das deutsche Feldlager und vor allem: womit? Schnell und kompromisslos macht Lindemann klar, dass es sich um verschiedene Kräfte mit unterschiedlichen Motivationen handelt, die Qualität der Angriffe auf deutsche Soldaten jedoch stetig zunimmt. Weiterführend geht der Autor die politische und militärische Führung hart an, insbesondere der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung bekommt mehrfach sein Fett weg. Aber auch am ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhahn lässt Lindemann kein gutes Haar. Doch der Rundumschlag geht noch weiter. Auch dem Entwicklungshilfeministerium und dessen ausführendem Arm, der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), wird totales Versagen attestiert.

In der Sache hart und stets bereit zu ausführlicher und nachvollziehbarer Kritik, stellt sich Lindemann allerdings zu einhundert Prozent hinter die deutschen Soldaten. Diese, das macht er sehr deutlich, können nichts für die Fehler der Politik und müssen Tag für Tag im 5000 Kilometer entfernten Afghanistan mit den Auswüchsen einer überbordenden Bürokratie, einem friedliebenden Beamtenapparat in der Heimat und mit nicht kooperativen Mitarbeitern anderer staatlicher Stellen zusammenarbeiten.

Fazit: „Unter Beschuss“ gehört in die Hände jedes interessierten Lesers, denn hier werden unbequeme Fakten zur Sprache gebracht und Missstände offen angeprangert. Der Ton ist bisweilen etwas ruppig und könnte so manchen Gutmenschen etwas verstören, doch der persönliche Standpunkt des Autors ist immer gekennzeichnet. Auf vergleichsweise wenigen Seiten zeichnet Marc Lindemann den Afghanistaneinsatz in seiner kompletten Breite, gewährt zum Teil auch persönliche Einblicke und ist mit der Bewertung nah am Puls der Zeit. Klare Kaufempfehlung.

Von Ralf

Seit November 2009 schreibe ich Rezensionen zu Sachbüchern. Ich freu' mich über Feedback und Kommentare.

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